Übersicht:
Breitere Rennradmäntel haben ihren Einzug in die World Tour gefunden, während früher 21 mm Schlauchreifen mit 8 – 10 bar galten, sieht man heute 28 – 30 mm bei rund 5 bar.
- Komfort: Mehr Volumen + weniger Druck → spürbar weniger Vibrationen.
- Grip: Größere, anpassungsfähigere Aufstandsfläche gibt dir in Kurven und beim Bremsen mehr Reserven.
- Rollwiderstand: Niedriger Druck senkt Impedanzverluste, breitere Karkassen halten Hystereseverluste im Zaum → weniger Watt.
- Sweet Spot beim Druck: Nicht zu hart (Vibration) und nicht zu weich (Walkarbeit) – der Silca Rechner hilft.
- Faustregel Felge Reifen: Maulweite ≈ 72 % der Reifenbreite ist am schnellsten; Unterschiede < 0,5 W, also Komfort ruhig höher gewichten.
- Kurz gesagt: 30 mm Tubeless auf einer 21–22 mm Felge liefert derzeit das beste Verhältnis aus Tempo, Kontrolle und Wohlfühlfaktor – ohne aerodynamische Kompromisse im Alltag. Bei maximaler Performance ist ein 28 mm Mantel auf einer 21 mm Maulweite die schnellste Wahl. Als Kompromiss lässt sich am Vorderrad 28 mm und am Hinterrad 30 mm montieren.
Wo kommen wir her?
Bis in die jüngere Vergangenheit (um 2020) galten andere Material Gesetze: Chris Froome fuhr im Supertuck zum Toursieg, 42 cm Lenker galten als aerodynamisch und 21 mm Schlauchreifen waren State of the Art. Tour Etappen folgten einem festen Drehbuch, Team Sky beherrschte jeden Anstieg, und Peter Sagan dominierte die Sprints. 21 bis 23 mm Mäntel mit 8 – 10 bar galten als schnellste Wahl. Man vermutete, die Kontaktfläche sei entscheidend für den Rollwiderstand – also möglichst schmaler Mantel, hoher Druck.
Heute wissen wir es besser. Im Profi Peloton rollen 28, meist sogar 30 mm Reifen; bei Klassikern wie Paris Roubaix sind es bis zu 35 mm. Warum? Mehr Komfort, mehr Grip – und dank geringerem Rollwiderstand auch höhere Geschwindigkeiten bei gleichen Watts. Schauen wir uns die Punkte im Detail an.
Mehr Komfort
Breitere Reifen bieten spürbar höheren Fahrkomfort, weil sie mit geringerem Druck gefahren werden. Ein breiterer Mantel baut höher auf, schafft mehr Puffer und absorbiert Vibrationen, bevor es zum Durchschlag auf die Felge kommt. (Das Thema Vibrationsabsorption greifen wir beim Rollwiderstand noch mal auf.)
Beispiel Silca Pressure Calculator
Silca hat einen „Tire Pressure Calculator“, der den optimalen Druck nach Systemgewicht, Untergrund und Tempo ausgibt. „Optimal“ heißt hier: geringster Rollwiderstand.
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23 mm Reifen – 80 kg Systemgewicht, normaler Asphalt, moderates Tempo
o 7,3 bar hinten / 7,2 bar vorn
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30 mm Reifen – gleiche Parameter
o 4,8 bar hinten / 4,7 bar vorn
2,5 bar Differenz machen enormen Komfortunterschied. Wer’s nicht glaubt, probiert es aus. Der Komfort ließe sich zwar nach ISO 26311 exakt messen, doch die subjektive Wahrnehmung ist so eindeutig, dass es den Laboraufwand nicht braucht.
Kurzum: Breiterer Mantel → geringerer optimaler Druck → größere Pufferzone und bessere Vibrationsabsorption.
Zu wenig Druck lässt den Reifen kollabieren: Komfort und Kurvengrip gehen verloren.
Mehr Grip
Ein breiterer Mantel bietet mehr Grip beim Bremsen und in Kurven. Größere Aufstandsfläche plus bessere Anpassung an Mikro Unebenheiten bedeuten: mehr Gummi greift gleichzeitig. Neben Silca bietet auch SRAM einen Druckrechner, der Trocken und Nassbedingungen berücksichtigt. Zu geringer Druck lässt den Reifen jedoch walken und kann ihn sogar von der Felge hebeln – was Gripverlust und Sturzgefahr mit sich bringt.
Rollwiderstand und seine Faktoren
Bevor wir den Rollwiderstand bei verschiedenen Reifenbreiten betrachten, schauen wir auf die Faktoren, die den Rollwiderstand generell bestimmen – unabhängig von der Reifenbreite.
Der Rollwiderstand wird von zwei Aspekten bestimmt: der Vibrationsabsorption und der Walkarbeit, die ein Mantel bei jedem Bodenkontakt verrichtet. Vibrationsabsorption beschreibt die Fähigkeit des Mantels, kleine Unebenheiten der Straße abzufedern. Dabei verformt sich der Mantel minimal, schmiegt sich um die Unebenheit (z. B. rauer Asphalt) und reduziert deren Höhenunterschied. Wie schon im Komfort Abschnitt erwähnt, führt eine hohe Vibrationsabsorption nicht nur zu mehr Komfort, sondern auch zu geringerem Rollwiderstand
Ist der Mantel (zu) hart aufgepumpt, werden Unebenheiten nicht ausreichend absorbiert – die Folge sind stärkere Vibrationen, verringerter Komfort und höherer Rollwiderstand***. Solche Mikrovibrationen, die Fahrer:in und Rad statt des Mantels aufnehmen, nennt man Impedanz Verluste. Ein zu hart aufgepumpter Mantel erzeugt also hohe Vibrationen, sprich hohe Impedanz Verluste.
*** Vorausgesetzt, man fährt auf einem Untergrund, der mindestens kleine Unebenheiten (z. B. Asphalt) aufweist. Auf Glas oder Metall hätte ein höherer Reifendruck einen geringeren Rollwiderstand zur Folge.
Ein zu weich aufgepumpter Mantel „walkt“ dagegen sehr stark, was den Rollwiderstand ebenfalls erhöht. Walken lässt sich mit „Verformen“ gleichsetzen: Ein zu weicher Mantel verformt sich bei jedem Bodenkontakt übermäßig. Diese übermäßige Verformung erzeugt Reibungsverluste innerhalb des Mantels, die den Rollwiderstand steigern. Zudem muss nach dem Abrollen Energie aufgewendet werden, um den Mantel wieder in seine ursprüngliche Form zu bringen – hier spricht man von Hystereseverlusten.
Wir fassen kurz zusammen:
Rollwiderstand wird von zwei Effekten bestimmt:
1. Vibrationsabsorption: Der Reifen federt kleine Unebenheiten weg. Zu hoher Druck → schlechte Absorption, mehr Vibration = höhere Impedanzverluste.
2. Walkarbeit (Hysterese): Jede Verformung der Karkasse kostet Energie. Zu niedriger Druck → übermäßiges Walken → höhere Hystereseverluste.
Zu hart aufgepumpt = hohe Impedanzverluste.
Zu weich aufgepumpt = hohe Hystereseverluste.
Was bedeutet das in der Praxis?
Ist ein Mantel (zu) hart, hat er kaum Hystereseverluste (verformt sich kaum), aber sehr geringe Vibrationsabsorption (hohe Impedanz Verluste). Ist er (zu) weich, bietet er zwar hohe Vibrationsabsorption, verformt und walkt sich sehr, aber sehr stark.
Man muss also die „goldene Mitte“ finden, in der beide Effekte zusammen am geringsten sind – den optimalen Luftdruck. Diesen einen optimalen Druck gibt es nicht; er hängt stark von der Beschaffenheit des Untergrunds und der Reifenbreite ab.
Grundsätzlich gilt: Impedanz Verluste (hoher Rollwiderstand bei zu hartem Reifen) wiegen deutlich schwerer als Hysterese Verluste (hoher Rollwiderstand bei zu weichem Reifen): „(…) as you can see on the new asphalt surface, being 10 psi below the breakpoint only costs 1 W, being 10 psi too high costs 9 W. The coarse asphalt followed the same pattern.“ (Silca¹)
¹ https://silca.cc/en-eu/blogs/silca/tire-pressure-calculator-explained
Das ist mitunter der Hauptgrund, weshalb breitere Reifen einen geringeren Rollwiderstand haben, als schmale Reifen.
Breitere Reifen bieten den Vorteil, dass sie mit geringerem Luftdruck gefahren werden können, was einen höheren geringeren Impedanzverlust ermöglicht, bei zeitgleich geringen Hystereseverluste. Heißt: geringe Vibration bei zeitgleich geringer Verformung = geringerer Rollwiderstand. Das größere Volumen eines breiteren Mantels verteilt die Last gleichmäßiger, und die Karkasse bleibt auch bei weniger Druck in Form.
Zur Veranschaulichung der Rollwiderstände bei unterschiedlichen Reifenbreiten und jeweils optimalem Druck empfiehlt sich ein Blick auf rollingresistance.com: Dort wurde der Continental GP 5000 S TR in 25, 28, 30 und 32 mm getestet. Ergebnis: Je breiter der Reifen, desto geringer der Rollwiderstand bei identischem Druck. Ein breiterer Mantel erlaubt also mehr Komfort bei gleichem oder sogar geringerem Rollwiderstand (z. B. 11 W bei 25 mm / 5 bar vs. 9,4 W bei 30 mm / 5 bar).
https://www.bicyclerollingresistance.com/specials/grand-prix-5000-s-tr-comparison
Welchen Mantel sollte ich wählen?
„Es kommt darauf an.“ Eine weitere Untersuchung von RollingResistance zeigt, dass auch die Maulweite der Felge eine Rolle spielt: Am schnellsten ist ein Verhältnis von Reifenbreite zu Maulweite von rund 72 %. So wäre bei einer 21 mm Maulweite (z. B. unser CC50 R) eine reale Reifenbreite von ca. 29 mm optimal; bei 22 mm (COMP AR) ca. 30,5 mm.*
https://www.bicyclerollingresistance.com/specials/rim-width-test
*Unter Ausklammerung aerodynamischer Faktoren – dazu in einem anderen Beitrag.
Die Unterschiede liegen jedoch unter 0,5 W pro Reifen bei ~30 km/h. Wer mehr Komfort bevorzugt, fährt am CC 50 R gern 30 mm und am COMP AR 32 mm. Wer maximale Aerodynamik sucht, wählt 28 mm (CC 50 R) bzw. 30 mm (COMP AR). Warum? Mehr dazu im Aero Beitrag.
Zudem gilt es bei der Wahl der Reifenbreite immer die ETRTO Empfehlung zu beachten. Demnach ist auf einer Felge mit 21 mm Maulweite Mäntel mit 25-58 mm freigegeben. Mehr dazu unter https://www.continental-reifen.de/tire-knowledge/tire-rim-combinations-etrto-standards/
In den kommenden Beiträgen befassen wir uns mit verschiedenen Maulweiten und dessen Einfluss auf die Aerodynamik bei entsprechender Reifenwahl, sowie das Zusammenspiel von Felgentiefe und Seitenwindanfälligkeiten, sowie Tubeless vs. Tubes und vieles mehr.
Du hast Fragen, Anmerkungen, Ideen? Dann schreib uns gern an info@leeze.de mit deinem Anliegen.
Quellen:
– Silca Tire Pressure Calculator
– bicyclerollingresistance.com (GP 5000 S TR Vergleich, RimWidth Test)https://silca.cc/en-eu/blogs/silca/tire-pressure-calculator-explained
https://www.bicyclerollingresistance.com/specials/grand-prix-5000-s-tr-comparison
https://www.bicyclerollingresistance.com/specials/rim-width-test
https://www.continental-reifen.de/tire-knowledge/tire-rim-combinations-etrto-standards/